Informationen zur Familie Moses Stern in der Burghauner Ringstraße 2 / heute Nr. 3

Schülerinnen und Schüler der Wigbertschule Hünfeld tragen Texte aus dem Buch "Jüdisches Leben im Hünfelder Land - Juden in Burghaun" vor

Schüler oder Schülerin

Die Familie Stern war eine alteingesessene Burghauner Familie. Mehrere Generationen Stern lassen sich an den überlieferten Quellen sowie auf dem Friedhof eindrucksvoll nachweisen. Der älteste Urahne der Familie ist Nathan, Sohn des Jona. Er starb 1803, seine Grabstätte kann man auf dem ältesten Teil des jüdischen Friedhofes hier in Burghaun besuchen.

Biografie Fam. Stern_Lesungen.pdf
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Bevor Moses Stern um 1912 das Haus in der Ringstraße erwarb, wohnte er mit seiner Familie am Marktplatz Nr. 4.  Moses Stern (geb. 1881) war von Beruf Viehhändler. Er heiratete Rosa Stern aus der Schlossstra­ße, die ebenfalls 1881 geboren wurde und eine entfernte Verwandte von Moses war. Das Ehepaar bekam sechs Kinder:

  1. Marjane geb. 1909
  2. Bella geb. 1911
  3. Jenny geb. 1915
  4. Ferdinand geb. 1919
  5. Sitta geb. 1921
  6. Max geb. 1922

 

Als die jüdische Bevölkerung in den 19dreißiger Jah­ren durch den Naziterror zunehmender Diskriminierung und Entrechtung ausgesetzt war, verschlechterten sich auch die Handelsbedingungen der jüdischen Händler.

Die wirt­schaf­tliche Existenzgrundlage der großen Familie Stern schwand mehr und mehr dahin, sodass die Familienmitglieder nacheinander nach Holland flüchteten. Zuletzt drohte sogar eine Zwangsversteige­rung des Hauses. Die beiden Jüngsten besuchten noch die evangelische Schule in der Schloßstraße - Sitta bis Ostern 1935, Max bis Ende August 1936 - ehe auch sie mit den Eltern Burghaun verließen.

 

In Holland versuchte die Familie während der deutschen Besat­zungszeit „un­ter­zu­tau­chen“. So gelang es den Sterns bei verschiedenen nichtjüdischen Holländern ein Versteck zu finden. Zwei der Geschwister wurden entdeckt, sie konnten der Verhaftung durch die Gestapo nicht entgehen: Ferdinand und Bella.

Fer­dinand wurde am 4. Mai 1943 vom Sammellager Westerbork aus in das von den Deutschen besetzte Polen verschleppt – und zwar in das Vernichtungslager Sobibor im Distrikt Lublin. Dort wurde er vermutlich gleich am Tag seiner Ankunft ermordet, denn er starb bereits drei Tage später am 7. Mai. Bella kam im Vernichtungslager Auschwitz ums Leben, ihr Todestag ist der 11. Februar 1944. Die anderen Familienmitglieder wurden gerettet.

Zum Gedenken an Bella und Ferdinand verlegen wir heute Stolpersteine vor dem Haus, in dem sie aufgewachsen sind und ihre Jugendzeit verbracht haben.

 

Elisabeth

1993 trat ich in Kontakt mit Bellas und Ferdinands Schwester Sitta Elkus geb. Stern. Von ihrem Vetter Feiber Strauß in Frankfurt, mit dem ich schon länger in Verbindung stand, hatte ich die Adresse bekommen. Sitta, die mit ihrem Mann Benno Elkus in Melbourne in Australien lebte, besprach eine Tonbandkassette mit vielen Informationen über die Familie Stern, insbesondere über ihr Leben in Holland. Sitta und Benno Elkus sind mittlerweile verstorben, sie hinterließen zwei verheiratete Kinder, Enkel und Urenkel.

 

Angesichts eines Fotos von ihrem Elternhaus in Burghaun schrieb Sitta im März 1993 an mich: "Es ruft wieder lebendige Erinnerungen auf von meiner Jugend, wo ich verschie­dene angenehme Jahre in Freude mit meinen Eltern und Geschwi­stern ver­bracht habe. Mein großer Wunsch ist, noch einmal nach dem Platz zurückzukommen."

Doch leider ist dieser Wunsch nie Wirklichkeit geworden.

 

Die nächsten Textbeiträge sind –außer kurzen Erläuterungen dazwischen- leicht bearbeitete Originalberichte von Sitta Elkus- Stern aus Ihrer Tonbandaufzeichnung. Sie werden als Ich-Erzählung vorgetragen und an zwei Stellen durch Originalton ergänzt.

 

Schüler oder Schülerin

Schon vor dem Boykott jüdischer Geschäfte und sonstiger Einrichtungen, den die Nazis am 1. April 1933 inszenierten, klirrten in der Nacht vom 21. auf den 22. März 1933 die Fensterscheiben in den Häusern der Burghauner Juden. Daran konnte sich Sitta noch gut erinnern:

 

(Audio - Originalton Sitta Elkus-Stern)

"Ja, das stimmt, gleich als Hitler an die Regierung kam, wurden bei allen jüdischen Familien Fenster und Türen ein­geschlagen. Zuvor ist man durch die Straßen marschiert und hat gesungen. Ein Lied war: "Wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann gehts nochmal so gut..." Den nächsten Abend haben viele Juden das Dorf verlassen. Wir haben die Nacht in Hünfeld in einem Hotel ver­bracht. Als wir am folgenden Morgen zurückka­men, hat man uns verspottet und ausgelacht und beschimpft als Feig­linge.

 

In der christlichen Schule hat man uns sehr beobachtet, dass wir das Heil‑Hitler auch ja vorschriftsmäßig gesagt haben. Ich war eine gute Schülerin, aber mein Zeugnis war immer in allen Fä­chern nur genügend. Mit schwerem Herzen haben wir immer die Schule verlassen. Zuerst haben die Kinder schön mit uns gespro­chen, und dann hat man uns verhauen. Wir konnten uns nicht weh­ren, denn man sagte uns, die Hitlerjugend würde uns festnehmen, weil wir christliche Kinder geschlagen haben."

 

Schüler oder Schülerin

Ein weiteres Erlebnis aus Burghaun konnte Sitta nie vergessen, weil sie damals große Angst ausgestanden hatte:

"Ich musste ein paarmal flüchten, weil Gefahr droh­te. Einmal abends passierte es, dass ich einen Pferdewagen ankommen sah. Ich habe den Wagen angehalten und den Kutscher gefragt, ob er mich zu einer bestimmten Adresse bringen könnte. Ja, sagte er, er würde in zwanzig Minuten zurück sein. Nach einiger Zeit sah ich die grüne Polizei ankommen. Er war ein Verräter. Ich habe mich versteckt, und man hat mich nicht gefunden."

 

Über das Leben ihrer Familie in Holland erfahren wir von Frau Elkus viele Einzelheiten. Die älteste Tochter Marjane war als erste schon 1933 nach Holland emigriert. Die Eltern Stern hatten in Den Haag Bekannte, die auch aus Deutschland kamen. Bei dieser Familie hat Marjane im Haushalt gearbeitet. Hierdurch hatte die Familie Stern einen willkommenen Zufluchtsort.

Und weiter berichtete Sitta Elkus geb. Stern:

 

"Nach einiger Zeit (im Jahr 1934) emigrierten auch meine Schwestern Bella und Jenni sowie mein Bruder Ferdinand nach Holland. Bella und Jenni arbeiteten beide in einem Haus­halt. Das war die einzige Beschäftigung, für die man eine Arbeitsgenehmigung bekommen hat. Ferdinand studierte an einer religiö­sen Schule in Belgien.

Im März 1936 hatten meine Eltern die Papiere fertig, um nach Holland auszureisen. Im letzten Augen­blick fing man wieder an, meinem Vater Schwierigkeiten zu ma­chen, und die Behörde zog seinen Pass ein.

Meine Mutter und Max konnten nach Holland ausreisen. Ich blieb mit meinem Vater in Burghaun zurück, bis die Behörde den Pass zurückgegeben hat.

Die ganze Familie lebte zunächst in Den Haag. Marjane heira­tete bald Samuel Spiero, einen Metzger. Die jüdische Gemeinde in Den Haag hatte ein Flüchtlingslager einge­richtet, und meine Mutter hat für diese Menschen gekocht. Max besuchte die Schule, und ich habe mit Kindern gearbeitet. Wir mussten ja Geld verdienen. Bella hatte inzwischen einen Holländer geheiratet. "

 

Im Mai 1940 marschierte die deutsche Wehrmacht in Holland ein und besetzte das Land. Von nun an waren die Juden auch hier nicht mehr sicher vor Verfolgung und Verschleppung. Zu Beginn des Jahres 1941 mussten alle deutschen Immigranten - größtenteils jüdische Flüchtlinge – auf Befehl der Nazis die Westküste verlassen und sich woanders niederlassen.

 

"Meine Eltern, Jenni, Ferdinand, Max und ich haben uns in Enschede angesiedelt. Meine Eltern waren bei einer christlichen Familie versteckt. Zwei Wochen vor der Befreiung wurden sie von den Nazis festgenommen. Aber es gab keine Möglichkeit mehr, die Gefangenen zu deportieren. So überlebten meine Eltern den Krieg. Eine kurze Zeit wohnten sie in Enschede und kamen dann wieder zurück nach Den Haag. Beide sind in Den Haag begraben.

Meine Schwester Marjane und ihr Mann sind in 1942 untergetaucht und haben den Krieg überlebt. Sie hatten keine Kinder. Nach dem Krieg war Marjanes Mann Vorbeter der jüdischen Gemeinde in Den Haag. Nachdem mein Schwager in Rente war, zogen sie nach Israel. Sie sind dort gestorben und begraben.

 

Jenny heiratete in 1941 einen Holländer und übersiedelte wie­der nach Den Haag. Jennys Mann Emanuel Eljon war Sekretär der jüdischen Gemeinde in Den Haag. Beide waren versteckt und haben den Krieg überlebt. 1951 emigrierten sie nach Australien. Dort starb Jenny 1979 in Melbourne.

 

Ferdinand und Max waren beide zusammen versteckt im Nordosten von Holland, einige Kilometer von meinen Eltern entfernt. Durch Verrat ereignete sich eines Nachts ein Überfall. Max konnte sich durch die Hintertüre retten, wo keine Bewachung war. Ferdinand flüchtete aus der vorderen Haustüre und wurde von den Nazis festgenommen. Max wusste die Adresse unserer Eltern und lief in dieser Nacht zu ihnen. Er überlebte und wohnte später mit Frau und drei Kindern in Israel. Ferdinand ist in Sobibor gestorben.

 

Bella hatte im Jahre 1937 Jakob van Leeuwen geheiratet, er war Angestellter in einem Betrieb. Sie lebten in Vourbourg und hatten drei Kinder: Alexander, Mose und Rosie. Alle drei sind getrennt von christlichen Familien aufgenommen worden, während Bella und Jakob ohne sie untertauchten. Auf diese Weise haben die Kinder den Krieg überlebt. Die Eltern Bella und Jakob Leeuwen wurden entdeckt und verhaftet, sie starben in Auschwitz.

 

Als die Kinder meiner Schwester Bella zum Verstecken vor den Nazis geholt wurden, war Alex, der Älteste, 5 Jahre alt. Beim Abschied sagte er zu seinen Eltern: Macht Euch keine Sorgen, ich werde meine Geschwister hüten.

Nach dem Krieg adoptierte jede Schwester ein Kind von Bella und Jakob. Heute leben sie alle drei in Israel, sind verheiratet und haben Kinder."

 

(Bericht von Ineke Kievit, deren Großeltern den kleinen Mose, Bellas Sohn,  versteckt haben)

 

(Audio: Originalton Sitta Elkus)

"Ich bin (von Enschede) bald nach Amsterdam umgezogen und habe dort wieder mit Kindern gearbeitet. Von da bin ich Anfang 1942 untergetaucht und zwar zuerst in Scheveningen, dann unter verschiedenen Adressen. Am Anfang hatte ich noch Verbindung mit meiner Familie. Meine Schwester Marjane, die noch in Freiheit lebte, schickte mir ab und zu etwas an Lebensmitteln.

Ich habe in dieser Zeit wunderbare Menschen kennengelernt, mit denen ich in Kontakt war bis zu ihrem Tod.

In Holland gab es eine Antinaziorganisation, die Juden und verfolgten Nichtjuden half und sie mit Lebensmittelkupons, falschen Identitätspapieren und Pässen versorgte. In der ganzen Zeit, die ich versteckt war, hatte ich solche Papiere.

Meinen Mann habe ich nach dem Krieg kennengelernt, und wir haben 1947 in Den Haag geheiratet. Er war auch versteckt und hat mehr als zwei Jahre lang in einem Laubenkeller unter der Erde gelegen, wo er immer das Wasser ausschöpfen musste. Im Jahr 1949 sind wir dann nach Israel emigriert, aber leider konnte mein Mann das Klima dort nicht vertragen. So sind wir 1956 nach Australien ausgewandert, wo Jenni mit ihrem Mann lebte.

Ich habe zusammen mit anderen jüdischen Familien unsere Wohltäter in der Gedenkstätte Yad Vashem einschreiben und für sie einen Baum pflanzen lassen.

 

Wir sind außergewöhnlich dankbar und werden niemals vergessen, dass aufrichtige, liebenswürdige und furchtlose Holländer uns aufgenommen und geschützt haben, um nicht in die Hände der teuflischen deutschen Mörder zu fallen. "

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